Fairness per Gesetz. Sorgfaltspflicht in der Lieferkette.

18.08.2020 | Lesedauer: 6 Minuten

Die globale Wertschöpfungskette macht 80% des Welthandels aus. In 2018 kamen alleine 320.000 Export-Unternehmen in Deutschland auf einen Umsatz von 1.3 Billionen Euro. Im Import waren 775.000 Unternehmen aktiv (BMZ). Dabei entstehen täglich unzählige Kaufentscheidungen entlang der eigenen Lieferkette: Der Kaffee aus Brasilien, die Pflastersteine aus Indien oder das Cobalt aus dem Kongo – sind diese Produkte nachhaltig produziert und vor allem fair für alle Beteiligten? In globalen Lieferketten sind heute 450 Millionen Menschen beschäftigt, da fehlt es leicht an Übersichtlichkeit, Transparenz und klaren Regelungen. Das Lieferketten-Gesetz soll das nun ändern, aus Deutschland heraus. Das hat sowohl etwas mit Umweltschutz zu tun, als auch mit Menschenrechten. Wie dies geschehen soll und was bereits festgelegt ist, findest du im Folgenden heraus.

Die Diskussion um das Lieferketten-Gesetzt

Die letzten Monate haben gezeigt, dass Unternehmen, die auf verlässliche Partnerschaften setzen, ihre LieferantInnen kennen und sich gegenseitig unterstützen, ebenfalls krisenfester sind. Das Lieferkettengesetz, das Menschenrechte und Sorge für die Umwelt verpflichtet, soll nun ins Gesetzt verankert werden. Teile der Wirtschaft begrüßen diese verordnete „Sorgfaltspflicht“, andere lehnen sie ab und verweisen auf die Aufgabe des Staates. Sie fordern: Transparenz, Nachhaltigkeit und Fairness, wie bislang üblich durch Leitlinien und freiwillige Verpflichtungen zu regeln. Das aber soll jetzt anders werden.

Aktuelle Entwicklung des Gesetzentwurfes

Das Bundeskabinett wird am 26. August den Gesetzentwurf von Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) unter dem Namen „Sorgfaltspflichtengesetz“ diskutieren. Frisch nach der Sommerpause scheint ein guter Zeitpunkt zu sein, um darüber nachzudenken wie wir die zweite Hälfte von 2020 nutzen wollen, um Nachhaltigkeit zurück auf die Agenda zu holen. Das Gesetz sieht daher vor: Unternehmen ab einer Größe von 500 Beschäftigten zur Wahrung von Menschen-, Arbeits- und Umweltrechten in ihrer „globalen Lieferkette“ zu verpflichten. Konkrete Formulierungen sind bisher allerdings noch nicht veröffentlicht worden.

Welche Regelungen bestehen bereits?

Die Bundesregierung setzt bislang auf freiwillige Verpflichtung entlang der Lieferkette. 2018 wurde allerdings im Koalitionsvertrag vereinbart, ein Gesetz zu beschließen, sofern diese Freiwilligkeit nicht eingehalten werden. Vorgaben zu dieser Freiwilligkeit beschreibt der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP). Dieser wurde Ende 2016 verabschiedet und setzt UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte um, die der UN-Menschenrechtsrat 2011 beschlossen hatte. Darin werden die staatliche Schutzpflicht und die unternehmerische Verantwortung für Menschenrechte in globalen Lieferketten definiert.

Warum es jetzt anders werden soll

Der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sehen das Prinzip allerdings als gescheitert an. Sie wollen noch in dieser Legislaturperiode ein entsprechendes Lieferkettengesetz auf den Weg bringen. Hintergrund ist eine Befragung der Bundesregierung unter deutschen Unternehmen – nur etwa 455 Unternehmen von 2.250 haben befriedigende Antworten zurückgesendet. Weniger als 50% seien somit ihrer unternehmerischen Sorgfaltspflicht nachkommen, teilten die Ministerien mit.

Was soll das neue Lieferkettengesetz bringen?

Das Lieferkettengesetz soll Menschen und Umwelt in der globalen Wirtschaft schützen, im dem die sogenannten „externen Kosten“ in die Produktentstehung mit einberechnet werden müssen. Höhere Kosten durch Sicherheit am Arbeitsplatz, Hygienemaßnahmen oder Umweltschutz würden dann durch höhere Produktpreise sichtbar, aber auch gefördert und unterstützt. Das Motto „Qualität hat seinen Preis“ soll hier zum Tragen kommen. Kinderarbeit, Ausbeutung, Diskriminierung, Arbeitsrechte und Umweltzerstörung sollen verhindert werden sowie illegale Abholzung, Pestizid-Ausstoß, Wasser- und Luftverschmutzung gestoppt werden. Können aber Unternehmen wirklich für das Wirken Dritter zur Verantwortung gezogen werden?

Wie könnte das konkret in der Praxis aussehen?

Firmen würden durch das Gesetzt verpflichtet werden, entlang ihrer gesamten Lieferkette ökologische und soziale Mindeststandards durchzusetzen. Regelmäßige Risikoanalysen, konstante Erfassung der eigenen Ökobilanz aber auch lokale Bemühungen, um Transparenz, Fairness und Umweltschutz zu belegen, würden nötig werden. Sprich: die Transitorischen Kosten dieser Lieferketten-Transformation würden mittelfristig ansteigen. Gleichzeitig würden Bußgelder oder der Ausschluss aus Handelszonen bei Verstößen gegen das Gesetz drohen. Ein Preisanstieg für Produkte und Services würde folgen. Speziell in den sogenannten Risiko-Industrien Textilien, Leder und Chemikalien, in denen Lieferketten häufig soziale und ökologische Mängel aufweisen, müssten mit Preissteigerungen rechnen. Kritiker heben daher einen Wettbewerbsnachteil für deutsche Unternehmen ab 500 MitarbeiterInnen hervor, für die das Gesetzt verpflichtend wäre. Andersherum würde mehr Transparenz und Fairness in den Lieferketten die Risiken zukünftiger Krisen und umweltbedingter Produktionseinbußen mindern. KundInnen und InvestorInnen könnten ebenfalls positiv auf rasche Änderungen reagieren.

Kritik

Für das Verhalten Dritter zu haften, das widerspricht laut KritikerInnen den Regeln der Vereinten Nationen. Probleme in der Umsetzung, Wettbewerbsnachteile und aktuelle Wirtschaftskrisen würden das Gesetz aktuell nicht praktikabel machen – so der Bundesverband der Deutschen Industrie, die Deutsche Industrie- und Handelskammer. Peter Altmaier sieht das ähnlich.  

 „Dass die Verantwortung jetzt auf die Unternehmen abgewälzt werden soll, ist ungeheuerlich. Und deutsche Alleingänge nützen den Menschen in den Entwicklungsländern überhaupt nicht – sie zementieren nur die Armut in diesen Ländern.“

Anton Börner (65), Ehrenpräsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen (BGA)

Unterstützung

Die Initiative Lieferkettengesetz ist ein Zusammenschluss von mehr als 60 renommierter Organisationen, die sich einem gemeinsamen Ziel verpflichten. Nach eigenen Aussagen treten sie für eine Welt ein, in der Unternehmen Menschenrechte achten und Umweltzerstörung vermeiden – auch im Ausland. Sie fordern das Lieferkettengesetz – darunter KIK, Nestlé, Tchibo, Rewe, Ritter Sport, Oxfam, Weleda und Vaude. Sie glauben: Freiwillig kommen Unternehmen ihrer Verantwortung nicht ausreichend nach. Stattdessen sollen sie in Zukunft für Schäden an Mensch und Umwelt – in ihren Lieferketten verursacht oder in Kauf genommen – haften. Sie fordern die Regierung auf zu handeln und schlagen folgende Punkte für das Lieferkettengesetz vor.

Das soll im Gesetzt stehen

  1. Unternehmerische Verpflichtung in der gesamten Wertschöpfungskette Sorgfalt walten zu lassen. Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte müssen sichergestellt werden, Unternehmen müssen ihr Risiko analysieren, wirksame Maßnahmen ergreifen und darüber berichten.
  2. Der Zusammenhang zwischen Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung soll anerkannt werden. Umweltschäden (wie z.B. Verseuchtes Trinkwasser oder gerodete Wälder), die aus wirtschaftlichen Tätigkeiten entstehen, gefährden oftmals auch grundlegende Menschenrechte.
  3. Eine staatliche Behörde muss dazu befugt sein, die Einhaltung der Menschenrechts- und Umweltschutzvorgaben zu kontrollieren. Sanktionen für Unternehmen, die das Gesetz missachten müssen durch Bußgelder oder den Ausschluss von öffentlichen Aufträgen und der Außenwirtschaftsförderung durchgesetzt werden.
  4. Nicht nur große Unternehmen sollten betroffen sein, sondern alle Unternehmen aus Sektoren mit großen Menschenrechtsrisiken – etwa der Textilbranche, der Auto- oder Chemieindustrie.
  5. Eine zivilrechtliche Haftung muss ermöglicht werden, wenn ein Schaden eingetreten ist. Es muss Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen im Ausland die Möglichkeit gegeben werden, von Unternehmen vor deutschen Gerichten Schadensersatz einzuklagen, wenn sie keine angemessenen Sorgfaltsmaßnahmen ergriffen haben.

Deutsches Gesetz in der EU

In Deutschland ist man sich noch uneinig wie das Lieferkettengesetz gestaltet werden sollte. Eines ist allerdings klar: Die Integration in europäisches Gesetz ist dringend erforderlich. Das Wirtschaftsforum der SPD sprach sich daher dafür aus, das Gesetz sofort europäisch zu denken, um „eine Zersplitterung des EU-Binnenmarkts durch unterschiedliche nationale Regelungen“ zu verhindern. So kündigte EU-Justizkommissar Didier Reynders  bereits am 29. April 2020 an, im Jahr 2021 einen Gesetzesentwurf zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht vorlegen zu wollen. Diese Ankündigung wurde von Europaabgeordneten und Befürwortern eines deutschen Lieferkettengesetzes begrüßt.

Wie geht es weiter?

Es bleibt abzuwarten, wie die Bundeskabinett reagiert. Als Inspiration könnten ähnliche Gesetzt aus den Niederlanden, Frankreich und der Schweiz dienen. Transparenz, ja. Da sind sich viele einig. Zu welchen Kosten, das scheint nicht klar zu sein. Ein vorausschauendes Unternehmertum stellt sich besser heute als morgen auf steigende Regulation und Forderungen nach Nachhaltigkeitsstandards ein. Eine frühzeitige Transformation kann Wettbewerbsvorteile sicherstellen und den eigenen Einfluss auf Mensch, Natur und Gesellschaft positiv verbessern. Wir helfen gerne weiter bei Fragen zum Lieferketten-Management.

Bildquelle: Morning Brew und Donald Giannatti  auf Unplash.com.